Aus der Naturfreunde-Zeitschrift 2/93
Der Faschismus war an die Macht gekommen. In den ersten Tagen und Monaten wurden der Reihe nach die demokratischen und Arbeiterparteien und –organisationen verboten. Da kamen vier Görlitzer Naturfreunde zu einem riskanten Entschluß: Wir – Herbert Arlt, Albert Scholz, Max Klemt und ich – mußten zum Iserhaus, das zum damaligen Gau Schlesien gehörte und das wir verwalteten..
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Wir schwangen uns auf die Räder, die Rucksäcke waren leer. Auf ging es, die bekannte 50 Kilometer Strecke entlang, mit rund 400 Meter Höhenunterschied. Selbst das steilste Stück in Schwerter, wo sonst immer abgestiegen wurde, jagten wir unerbittlich hinauf. Ausgepumpt kamen wir bei unserem treuen, hilfsbereiten Hermann Antelmann, dem Hüttenwart, an. Sein Haus lag ungefähr hundert Meter vor dem Iserhaus. Nach der Begrüßung war unsere erste Frage: "Waren die Braunen schon in unserem Haus?" "Nein", sagte er. Ein erstes Aufatmen. Nun trugen wir Hermann unser Anliegen vor. Wir wollten die Privateigentumssicherung der Sachen auf dem Naturfreundehaus. Hermann machte ein betretenes Gesicht. Es war wohl verständlich, denn den letzten bissen die Hunde.
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Deshalb zuerst eine Beruhigung unsererseits: Zwei gingen zum Bürgermeister und erbaten um eine Genehmigung das Private abzuholen. Wir bekamen sie. Das Private – das waren Tischler-, Maler- und Schlosserwerkzeuge, kleine Andenken, Schlafsäcke, die unsere Frauen genäht hatten, Kaffeetöpfchen und Decken aus der Verkaufszentrale Nürnberg der Naturfreunde. Alles wurde eingepackt.
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Am wichtigsten aber war uns das Hüttenemblem der Naturfreunde vom Iserhaus. Es wurde abmontiert und mit den anderen Sachen ohne große Worte eingepackt. Mit vollgestopften Rucksäcken standen unsere Fahrräder zur Abfahrt bereit. Jetzt noch Abschied von Hermann, der ob der guten Wünsche sehr bedrückt war.
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Da kamen auch schon die braunen Räuber und forderten vom Hüttenwart den Schlüssel. Schweigend standen wir im Hintergrund. Hatte der Bürgermeister Gewissensbisse gegenüber seiner Partei bekommen? Ein letztes, leises "Berg frei". In Eile, mit voller Last ging es heimwärts. Am Schwerterberg wurden die Bremsen außerordentlich beansprucht. Aber es war eine gelungene Heimfahrt.
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Wir vier und die übrigen Funktionäre berieten kurz über das geborgene Material und dessen weiteren Verbleib. Sollten wir in die Lausitzer Hütte unterhalb der Lausche fahren und es den Freunden aus der Tschechoslowakei übergeben? Nein, es sollte an die aktiven Mitglieder verteilt werden. Das war eine gute und richtige Entscheidung. Denn bei dem Görlitzer Naturfreunde-Prozeß im April 1940 konnte ein Verräterzeuge, ein Deutsch-Böhme, nicht aussagen, daß Eigentum des Hitlerstaates von den Görlitzern übergeben wurde.
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Das Hüttenabzeichen wechselte mehrmals sein Versteck. Letztmalig wurde es von Albert Scholz erwähnt. Als ich bei einer illegalen Naturfreundefahrt zu Ostern 1935 in die Tschechoslowakei den Albert unter vier Augen nach dem Abzeichen fragte, antwortete er: "Die sollen es nicht bekommen. Deshalb habe ich es aus Sicherheitsgründen in das Bumbasloch, einen tiefen abgesoffenen Kalksteinbruch, versenkt. Nur noch Erinnerung."
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Als Albert 1984 nach seiner Frau verstorben war, nahm ich mit seinem Sohn Achim aus Dresden nochmals das Abzeichengespräch auf. Ich hatte Erfolg, kaum zu glauben. Allerdings nicht im Bumbasloch, sondern in Alberts Nachlaß selber. Und nun ist es bei mir gut aufgehoben und wartet wieder auf eine Verwendung. Manchmal packe ich es aus und lebe in Erinnerungen mit meinen alten Naturfreunden und denke an die schöne Naturfreundezeit zurück. Allen war die Rettung des Hüttenemblems und der anderen Sachen trotz Risiko eine Genugtuung, Befriedigung und Ehre – einst und heute!
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Walter Heidrich, Mitglied der Naturfreunde seit 1924
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