VON Wolfgang Krause
Festrede zum Jubiläum 75 Jahre
Liebe Naturfreunde, Freunde und Gäste
Am Anfang war eine Anzeige in der Wiener Arbeiterzeitung: Naturfreunde in Österreich wurden ersucht, ihre Adresse einzusenden. Mit 62 Teilnehmern schließlich fand die erste Wanderung der touristischen Gruppe am Ostersonntag 1895 statt. Abfahrt vom Südbahnhof nach Mödling, über die Klause, zum Anninger...
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Das war vor rund 104 Jahren und ging als die Gründungswanderung in die Naturfreundegeschichte ein. Bei der Gründung im Jahre 1895 in Wien stand demnach der Wunsch, den Arbeitern Zugang zu den kulturellen Werten der Gesellschaft zu vermitteln, mit im Vordergrund. Man wollte die Daseinslage verbessern, eine sinnvolle Lebensgestaltung ermöglichen, das Tor zum gemeinsamen Erleben der Natur öffnen.
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Die Arbeiter fühlten sich international miteinander verbunden und schon bald führte die Ausbreitung über die Grenzen von Österreich hinweg.
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Aber leider wurden die Naturfreunde 1933 in Deutschland durch die Nazis und 1934 in Österreich durch die bürgerlich-faschistische Regierung verboten. Nach den Jahren des Verbots in Deutschland ist es daher nicht verwunderlich, daß es bereits im Jahre 1946 zur Gründung der ersten deutschen Naturfreundegruppe nach dem Krieg kam.
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In der DDR scheiterte das Wiederaufleben der Traditionen der deutschen Naturfreundebewegung am Widerstand staatlicher Stellen. Paradoxerweise waren gerade die politischen Wurzeln der "Naturfreunde", die vor allem in der Arbeiterbewegung und der Sozialdemokratie lagen, Grund für deren Nichtzulassung.
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Völlig verständlich also, daß mit den politischen Veränderungen des Herbstes 1989 auch bald der Wunsch entstand, die Naturfreunde in der DDR neu zu formieren. Im März 1990 erfolgte die Gründung des Naturfreundeverbandes der DDR, und seit dem 29. September 1990 gibt es wieder eine einheitliche deutsche Naturfreunde-Organisation.
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Leider war es nicht möglich zu ermitteln, wann die Ortsgruppe Görlitz e.V. gegründet wurde. Das früheste Zeugnis für die Naturfreunde in Görlitz ist das Mitgliedsbuch des unter uns weilenden Naturfreundes Walter Heidrich. Von seinem Mitgliedsbuch haben wir eine Farbkopie hier auf einer Schautafel.
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Einen amtlichen schriftlichen Nachweis zu unserem Verein haben wir nicht. Auch eine Chronik aus der Zeit bis 1933 können wir in schriftlicher Form nicht nachweisen. Aber eines können wir feststellen: unsere noch lebenden Ehrenmitglieder Walter Heidrich und Walter Krause können mit Leidenschaft aus dem Vereinsleben bis 1933 berichten. Dabei fallen immer wieder Namen wie: Scholtz, Albert und Frau; Arlt, Herbert und Frau; Koltermann, Willi und Frau; Klemmt, Max und Frau; Raffelt, Otto und Frau; Kaiser, Gerhart und Frau usw.
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In Berichten von unseren Ehrenmitgliedern erfahren wir immer wieder vom Vereinsleben und dem Wirken des Vereins. Viele schöne Stunden wurden gemeinsam verbracht:
- es wurde gemeinsam gewandert,
- man hörte sich gemeinsam Vorträge an,
- es gab eine Volkstanzgruppe,
- man fuhr zum Wandern, Klettern und Skifahren ins Riesengebirge, Isergebirge, Zittauer Gebirge und in die Sächsische Schweiz.
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Um mit den Worten unserer Ehrenmitglieder zu sprechen: Für die Damen und Herren der Fabrikbesitzer und Geschäftsleute war es allerdings etwas Neues, daß nun in den Gefilden Ihrer Kurorte auf einmal auch wandernde Arbeiter in einfacher sportlicher Kleidung auftauchten. Dies war nur möglich, weil der Touristenverein "Die Naturfreunde" sich bemühte, so weit dies möglich war, eigene Unterkunftsstätten zu schaffen. Die Görlitzer Naturfreunde hatten dazu ein Haus im Isergebirge in Straßberg unterhalb der Tafelfichte kurz vor der tschechischen Grenze hergerichtet. Ansonsten schlief man bei Bergbauern auf dem Heuboden.
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Mit diesen kurzem Ausschweif möchte ich es aber belassen mit Berichten zum Vereinsleben bis zum Verbot des Vereins 1933.
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Weitergearbeitet wurde zum Teil noch illegal, was aber sehr risikoreich und schwierig war und unter Strafe stand.
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Nach 1945 vereinigten sich viele ehemalige Naturfreunde in der Sportgemeinschaft "Wandern und Bergsteigen". Man konnte wohl nicht mehr aufhören. Denn wie bereits erwähnt, war zur DDR-Zeit der Touristenverein "Die Naturfreunde" verboten.
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Am 28.04.1990 war es dann endlich in Görlitz soweit. In Anwesenheit von mehr als 20 Mitgliedern und zahlreichen Gästen schlug um 19.00 Uhr die Wiedergeburtsstunde der Ortsgruppe Görlitz des Touristenvereins "Die Naturfreunde" e.V.. Besonders für jene Naturfreunde, die bereits in den 20-er und 30-er Jahren der Organisation angehörten, hatte diese Veranstaltung einen hohen Stellenwert.
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Welche Bedeutung man diesem Termin in unserer Partnerstadt Wiesbaden beimaß, mag ein Blick in die Gästeliste verdeutlichen. Eigens dazu angereist waren u. a.: Klaus Bensberg, Franz Deuter, Peter Rene Deuter, Karl-Heinz Reinhold, Dieter Suppes, Ulrich Zink. Hauptpunkte der Tagesordnung waren die Wahl des geschäftsführenden Vorstandes sowie die Verabschiedung der Satzung. Den Vorsitz übernahm Dieter Holtzsch. Ganz besonders hervorheben müssen wir hier die Arbeit von Franz Deuter und Dieter Holtzsch. Franz Deuter, der damalige 1. Vorsitzende der Ortsgruppe Wiesbaden, war maßgeblich beteiligt an der Wiedergründung der Ortsgruppe Görlitz am 28.04.1990 und den partnerschaftlichen Beziehungen zwischen Naturfreunden in Görlitz und Wiesbaden. Diese freundschaftliche Beziehung wurde sofort auch ausgedehnt auf die Ortsgruppe Wiesbaden - Schierstein unter ihrem 1. Vorsitzenden Werner Fröb. Damit können wir auf 9 Jahre erfolgreiche Naturfreundearbeit sowie freundschaftliche und partnerschaftliche Beziehungen zwischen Görlitz und Wiesbaden zurückblicken.
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Ein weiterer Glücksfall war es, daß sich Mitglieder der Sportgemeinschaft des damaligen Energiezentrums Hagenwerder - Sektion Wandern, Bergsteigen, Alpinistik - mit Dieter Holtzsch als Initiator für die Gründung der Naturfreunde in Görlitz bereitfanden. Ihnen haben wir es zu verdanken, daß die Naturfreunde Ortsgruppe Görlitz e.V. wiedergegründet wurde und heute auf 75 Jahre zurückschauen kann.
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Nachdem nun 9 Jahre praktischer konkreter Arbeit hinter uns liegen, möchte ich resümierend feststellen, daß wir zufrieden auf das Erreichte zurückschauen können und auch feststellen können: den Verein gibt es noch, er ist nicht untergegangen.
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Nicht immer treffen alle angebotenen Programmpunkte im Jahresplan den Geschmack jedes einzelnen. Jedem Menschen recht getan ist eine Kunst die niemand kann. Trotzdem möchte ich behaupten, daß wir eine breite Palette von Aktivitäten im Verein angeboten haben. Wie schwer es ist, eine Wanderung oder eine andere Veranstaltung zu organisieren, hat wohl jeder festgestellt, der im bestätigten Jahresplan als Verantwortlicher festgelegt wurde. Nicht zufrieden stellen kann hingegen die Teilnahme an den einzelnen Veranstaltungen aus der nicht im Verein organisierten Öffentlichkeit. Sicherlich ist daran die mangelnde Medienpräsenz und das Fehlen eines Vereinsraumes schuld. Die geringen finanziellen Mittel lassen im Verein keine großen Aktionen zu. Ein weiterer Grund liegt vermutlich darin, daß unser Verein von jungen Familien mit Kindern und Jugendlichen getragen wird und deren Anteil etwa 40 % beträgt. Die Schule muß vorgehen, insbesondere wenn die Kinder die 9. bzw. 10. Klasse besuchen, wird die Freizeit immer knapper und damit können die Kinder und Jugendlichen im Verein schlecht mitwirken. Durch die Einführung des Familienbeitrages ist aber für diese Familien eine Entlastung eingetreten und sie wandten sich nicht völlig vom Verein ab. Für den Verein war es deshalb besonders wichtig, im Jahresplan Veranstaltungen für sie anzubieten. So organisierten wir unter anderem Zusammenkünfte in der Jonashütte im Zittauer Gebirge oder führten das von Dieter Holtzsch ins Leben gerufene Campen am Waldsee in Biehain fort. Zur Tradition geworden sind das Badevergnügen, das Nikolauskegeln oder die Feier zur Sommersonnenwende für groß und klein.
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Regelmäßig stellen die Naturfreunde Streckenposten beim Wandertag im September. Einige lassen es sich nicht nehmen, auch selbst mitzuwandern. Damit sich alle Wanderer immer zurechtfinden, übernahmen die Naturfreunde der Ortsgruppe die Markierung des Weges mit dem blauen und dem gelben Punkt. Der blaue Punkt führt vom Grenzübergang Stadtbrücke Görlitz beginnend über die Landeskrone bis nach Friedersdorf.
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Aber auch die Verbindungen zu unseren Naturfreunden und Partnern in Wiesbaden haben wir weiter gepflegt. Wir sind gemeinsam im Riesengebirge, am Zirkelstein und im Frankenwald gewandert. Wir besuchten unsere Freunde zum 75- jährigen Jubiläum in Dickschied und dem Heidehäuschen in Wiesbaden- Schierstein. Aber auch ein Austausch mit Ortsgruppen in unserer näheren Umgebung wie Bautzen, Löbau und Weinböhla fand statt.
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Auch zu unserem Landesverband haben wir die Verbindung nicht abreißen lassen. Ihm möchten wir heute hier für die Unterstützung besonders danken.
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Daß das Austauschen von Informationen mit unseren tschechischen Nachbarn letztendlich auch Früchte trägt, sehen wir daran, daß wir heute vier Gäste unter uns begrüßen können. Hier ließen sich noch viele Aktivitäten anführen, ich möchte es aber dabei belassen. Es mag sein, daß wir in Görlitz manchmal unsere eigene Suppe kochen, wir wollen aber deshalb keine Außenseiter sein. Wir, die Naturfreunde der Ortsgruppe Görlitz e. V., möchten uns und unsere Aktivitäten mit in den Touristenverein der Naturfreunde einbringen.
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Wir, die Naturfreunde
- sind parteipolitisch und religiös unabhängig,
- sind die Freizeitorganisation für die arbeitenden Menschen,
- treten für Völkerverständigung und Abrüstung ein,
- fördern wirksamen Natur- und Umweltschutz, der die natürlichen Lebensgrundlage sichert; nicht in spektakulären Aktionen, sondern durch nachhaltige Arbeit vor Ort,
- fördern durch kulturelle, sportliche und touristische Fachgruppen solidarisches Verhalten und vielfältige Interessen.
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Damit möchte ich der heutigen Feier einen guten Verlauf wünschen.
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Berg frei! Wolfram Krause
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